Freitag, 13. März 2015

Immanuel Kant und die evolutionäre Erkenntnistheorie

(zuletzt überprüft am 5. Dezember 2020)  

Die in der Mitte des 20. Jahrhunderts entstandene evolutionäre Erkenntnistheorie zeigt den Zusammenhang auf zwischen der realen Außenwelt und Immanuel Kants Welt der Erscheinungen, die in unserem Verstand stattfindet. Wie ist es möglich, dass wir uns mit den angeborenen Denk- und Anschauungsformen in der realen Welt zurechtfinden? Darauf wusste Kants idealistische Philosophie nach dem damaligen Stand der Wissenschaft keine Antwort. Die Antwort gibt uns die ursprünglich auf den Biologen und Verhaltensforscher Konrad Lorenz (1903 - 1989) zurückgehende evolutionäre Erkenntnistheorie. Danach hat sich unser Verstand im Lauf der Evolution durch Anpassung an die Umwelt entwickelt. Lorenz schreibt in seiner Arbeit von 1941 ("Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie"), dass unsere angeborenen Anschauungsformen und Denkkategorien aus genau den selben Gründen auf die Außenwelt passen, aus denen der Huf des Pferdes auf den Steppenboden und die Flosse des Fisches ins Wasser passt.

Durch diese evolutionstheoretische Überlegung erscheint die idealistische Philosophie Kants in  einem völlig neuen Licht. Raum und Zeit sind nun nicht mehr von der Wirklichkeit losgelöste Verstandeskategorien. Sondern sie sind Ordnungssysteme unseres Verstandes, mit deren Hilfe wir uns in der realen Welt orientieren.

Auf diese Weise erhalten wir zunächst eine naheliegende Erklärung dafür, warum uns z.B. Raum und Zeit als Anschauungs- und Denkformen angeboren sind. Das Nebeneinander und das Nacheinander der Dinge in der Außenwelt ist Grundlage für die Entstehung der Kategorien Raum und Zeit im Verstand. Die Zeit als angeborene Form der Anschauung hat ihren entwicklungsgeschichtlichen Ursprung im realen Nacheinander der Dinge. Der Raum als Ordnungsstruktur des Verstandes hat seinen Ursprung im realen Nebeneinander der Dinge.

Doch damit bleiben noch einige Fragen offen. Entspricht die Vorstellung von absoluter Zeit, die wir von Natur aus haben (es gibt nur eine Zeit, die gleichmäßig verläuft) der Realität? Beweist die absolute Zeit im Verstand eine absolute Zeit in der Außenwelt? Wie ist die Vorstellung von absoluter Zeit in den Verstand gekommen? Kann es zwei Arten von Zeit geben, nämlich die Zeit im Verstand und die Zeit in der Außenwelt?

Zur ersten Frage. Das herrschende relativistische System in der Wissenschaft hat schon vor Jahrzehnten das Aufkommen einer auf der evolutionären Erkenntnistheorie beruhenden Zeittheorie verhindert mit dem Argument, die Vorstellung von absoluter Zeit im Verstand diene evolutionär gesehen dem Überleben, jedoch nicht der Wahrheit. Naturwissenschaftlich sei die Relativität der Zeit erwiesen. - Sicher ist der Pferdehuf kein direktes Abbild des Steppenbodens, aber der Huf ist optimal an den Steppenboden angepasst. Gleiches gilt für die Flosse des Fisches im Wasser und für allen anderen entsprechenden Beispiele. Ebenso beruhen unsere angeborenen Vorstellungen von Raum und Zeit auf einem Anpassungsprozess an die reale Außenwelt. Dagegen beruht der Zeitbegriff der Relativitätstheorie auf überholten philosophischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts.

Die nächste Frage, nämlich wie die absolute Zeit in den Verstand kommt, führt uns einen Schritt weiter zur Lösung. Der Verstand macht bereits in einem sehr frühen Entwicklungsstadium die Erfahrung, dass es nur eine Außenwelt gibt, in der alle Veränderungen und Bewegungen erfolgen. Darin liegt der Ursprung der Vorstellung, dass es nur eine Zeit gibt.

Dass diese ursprüngliche Erfahrung der Wahrheit entspricht, wird durch folgende einfache Überlegung bestätigt. Die Welt als Ganzes (Physiker würden sagen, die Welt als physikalisches System) befindet sich in jedem Augenblick in einem bestimmten Zustand. Der Zustand der Welt ändert sich von Augenblick zu Augenblick durch die Schwingungen unzähliger Atome und Moleküle, durch unzählige Veränderungen von atomaren  bis zu galaktischen Größenordnungen. Wenn in jedem Augenblick die Welt als Ganzes in einem bestimmten Zustand ist, so ist jeder Augenblick in der gesamten Welt der selbe. Wäre dies nicht der Fall, so würde die Welt als Ganzes nicht gleichzeitig existieren.  Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wären nicht zu unterscheiden. Weil es nur eine Welt gibt, gibt es nur eine Zeit.

Wie kommt die Vorstellung von gleichmäßig verlaufender Zeit in den Verstand? Der regelmäßige Wechsel von Tag und Nacht führt in einem frühen Entwicklungsstadium des Verstandes zu der Vorstellung eines gleichmäßigen Zeitverlaufs. Der Wechsel von Tag und Nacht ist die früheste Uhr in der Menschheitsgeschichte, so dass eine bestimmte Dauer in Tagen angegeben und gemessen werden kann, sobald der Mensch zum Zählen fähig ist.

Entspricht die Vorstellung der gleichmäßig verlaufenden Zeit der Wahrheit? Sobald wir erkennen, dass Zeit keine Substanz im Sinne Newtons ist, dass sie auch nicht in den Relationen von Leibniz besteht, sondern dass Zeit eine Ordnungsstruktur im Verstand ist: sobald wir dies erkennen, dann sehen wir, dass das Gleichmaß der Zeit das Maß für die Dauer realer Veränderungen ist. Wir sehen dies auch daran, dass nur eine gleichmäßig gehende Uhr zum Messen einer Dauer geeignet ist, weil nur eine gleichmäßig gehende Uhr eine Sekunde stets als die selbe Größe wiedergibt. - Allerdings trifft das Wort von gleichmäßig verlaufender Zeit in einem Punkt nicht zu. Denn nicht die Zeit verläuft oder fließt dahin, sondern die realen Zustände verändern sich, die Geschehnisse bilden Verläufe, deren Dauer und Geschwindigkeit wir am Maßstab der Zeit messen (siehe dazu meine Theorie der Zeit).

Mit diesen wenigen und einfachen Überlegungen haben wir die Grundlagen für eine neue Theorie des Raumes und der Zeit. Sie vereint die manchem als weltfremd geltende Philosophie des großen Immanuel Kant mit den Erkenntnissen der Evolutionstheorie.

Donnerstag, 12. März 2015

Ernst Mach: Die absolute Zeit ist eine metaphysische Idee

(zuletzt ergänzt am 6. Dezember 2020)

Der österreichische Physiker und Philosoph Ernst Mach (1838 - 1916) hat aus der Fragwürdigkeit von Newtons Substantialismus eine dem damaligem Stand der Wissenschaft entsprechende Konsequenz gezogen. Eine brauchbare Alternative zu Newtons Substantialismus war der Relationismus von Leibniz. Immanuel Kants Vorstellung von Raum und Zeit als Verstandeskategorien, die nach damaligem Erkenntnisstand keinen erkennbaren Bezug zur realen Außenwelt hatten, waren für die Physik, die sich damals noch als reine Erfahrungswissenschaft verstand, nicht akzeptabel. Man muss hinzufügen, dass Machs Schwerpunkt nicht die Zeitphilosophie, sondern die Erkenntnistheorie war. Und man muss hinzufügen, dass erst die in der Mitte des 20. Jahrhunderts entstandene evolutionäre Erkenntnistheorie die Zusammenhänge zwischen Kants Denkkategorien a priori und der realen Außenwelt erklären konnte.

Der Positivist Ernst Mach lehnte für die Physik ab, was man nicht beobachten und messen konnte. Dazu gehörte damals nicht nur das Atom, sondern auch die absolute Zeit. Weil die Uhren um 1900 immer noch recht ungenau gingen, konnte man die absolute Zeit nicht messen. Hinzu kam Newtons substantialistische Auffassung von Raum und Zeit. Daher bezeichnete Mach die absolute Zeit als eine metaphysische Idee, die aus der Physik zu entfernen sei. - Die positivistische Erkenntnistheorie von Ernst Mach ("Empiriokritizismus") fand um 1900 weite Verbreitung in der Wissenschaft. Danach ist die Beobachtung unsere einzige Wirklichkeit.

Der junge Einstein bewunderte Ernst Mach als Vorbild. Er versuchte mit seiner Relativitätstheorie dessen Forderung nach Abschaffung der absoluten Zeit zu verwirklichen. Dabei setzte er auch konsequent auf die heute obsolete These, wonach die Beobachtung unsere einzige Wirklichkeit ist. Dadurch konnte Einstein zu der rätselhaften Behauptung kommen, ein bewegte Uhr gehe nicht scheinbar, sondern wirklich nach.  (Bei dieser Behauptung blieb die Mehrzahl der Relativisten bis heute mit der Begründung, die Zeitdilatation sei ein beobachter-unabhängiger, mathematisch bewiesener Effekt). Ernst Mach soll Einsteins Relativitätstheorie abgelehnt haben, er konnte sich aber dazu wegen der Folgen eines 1901 erlittenen Schlaganfalls nicht mehr dezidiert äußern.    

Gegen die absolute Zeit wird auch heute noch eingewandt, dass es in der Natur kein absolutes Bezugssystem für die Zeit, folglich auch keine absolute Zeit gibt. Hier wird eine unzulässige Analogie zum Raum hergestellt. Der absolute Raum setzt ein physikalisches Bezugssystem voraus. Ernst Mach schlug dafür den Schwerpunkt des Weltalls als Fixpunkt vor. Dagegen bedarf die absolute Zeit  keines physikalischen Bezugssystems. Sie ist ein logisch-mathematisches Prinzip, ihr Bezugssystem ist die Verstandeslogik. Aus diesem Grund ist die absolute Zeit niemals physikalisch widerlegbar, und es gibt auch keine derartige Widerlegung. Man kann die Relativitätstheorie sogar als eine Bestätigung der absoluten Zeit auffassen. Wenn aus Sicht eines jeden Systems die Zeit in jedem anderen System um den selben Faktor langsamer verläuft, so liegt in dieser Feststellung die Aussage, dass in allen Systemen die selbe Zeit herrscht.

Die Frage, ob in der Wirklichkeit ein Bezugssystem für die absolute Zeit nachweisbar ist, kommt aus der empiristischen Denkweise des 19. Jahrhunderts. Für diese Denkweise gibt es kein logisches Prinzip ohne materielle Grundlage. Selbst die Mathematik, so glaubten die Positivisten, komme aus der Natur und beruhe ausschließlich auf Erfahrung. Erst der Neopositivismus des 20. Jahrhunderts hat diese Positionen aufgegeben und zugestanden, dass die Mathematik auf reiner Verstandeslogik beruht. *) Der Positivist Ernst Mach hat die Frage gestellt, ob es in der Natur einen absolut gleichmäßig verlaufenden Vorgang, also eine gleichmäßig gehende Uhr gibt. Aus der negativen Antwort hat er den Schluss gezogen, dass es die absolute Zeit nicht gibt. (Ähnlich haben damals berühmte Ärzte gesagt, man habe bei keiner Leichensektion eine Seele gefunden, folglich gebe es sie nicht. Natürlich ist die Seele kein materielles Ding. Aber ein seelenloser Mensch - das wäre kein Mensch). Man muss die Frage jedoch umgekehrt stellen: Kann die absolute Zeit als logisches Prinzip widerlegt werden?

Der absolute Raum erfordert als Voraussetzung ein physikalisches Bezugssystem. Die absolute Zeit als gleichmäßig verlaufende Zeit beruht dagegen auf der logischen Voraussetzung des gleichmäßigen Verlaufs. Die gleichmäßig verlaufende Zeit ist keine Eigenschaft der materiellen Welt, sondern ein logisch-mathematisches Prinzip, auf dem die Idee der Uhr beruht.

(Der vorstehende Aufsatz wurde 2012 erstmals veröffentlicht und entspricht in der Wortwahl nicht meinem aktuellen Erkenntnisstand. Nicht die Zeit verläuft, sondern die realen Vorgänge bilden einen Verlauf. Die Zeit ist dagegen der feststehende Maßstab für Dauer und Geschwindigkeit der realen Geschehnisse).


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*) Die tatsächlichen Umstände sind komplizierter. Das einfache Abzählen von Dingen beruht sicher auf Erfahrung. Auch die Geometrie war zur Zeit ihrer Entstehung eine reine Erfahrungswissenschaft. Heute wird die Geometrie wie andere mathematische Disziplinen rein axiomatisch aufgebaut. Das heißt an den Anfang wird ein System einfacher Axiome gestellt, die den Charakter von Spielregeln haben. Geometrie ist dann die Gesamtheit aller logischen Folgerungen aus den Axiomen. - Auch die Wahrscheinlichkeitsrechnung wurde zunächst rein empirisch eingeführt. 1933 ist es dem russischen Mathematiker A. Kolmogorow gelungen, ein Axiomensystem zu entwickeln, aus dem durch rein logische Schlüsse die gesamte Wahrscheinlichkeitsrechnung entwickelt wird.




Mittwoch, 11. März 2015

Immanuel Kant: Raum und Zeit sind Verstandeskategorien

(zuletzt geändert im Januar 2024)

In seiner Jugend befasste sich Kant zunächst mit Physik und Astronomie. Während Newton noch gelegentliche Eingriffe Gottes zur Vermeidung eines Gravitationskollapses für notwendig hielt, entwickelte Kant als erster eine rein wissenschaftliche Kosmologie. Er vertrat als erster die Auffassung, dass es sich bei den astronomischen Nebeln um Galaxien ähnlich der Milchstraße handelt.

Die Empiristen (im 19. Jahrhundert nannten sie sich Positivisten) glauben, dass alle menschliche Erkenntnis ausschließlich aus der Erfahrung stammt. Schon Leibniz hatte dagegen eingewandt, dass nur die Tiere ausschließlich aus Erfahrung lernen, während der Mensch dank des logischen Denkens auch über Verstandeswahrheiten verfügt. Immanuel Kant (1724 - 1804) widerlegte den naiven Glauben, dass sich die Erkenntnis nur auf das reine Denken oder nur auf die reine Erfahrung stützen kann. Die Erfahrung der äußeren Welt ist durch Formen unseres Denkens bestimmt, welche der Erfahrung bereits vorausgehen. Von diesen a priori gegebenen Verstandeskategorien bzw. Anschauungsformen sind Raum und Zeit die grundlegenden.

Bezüglich Raum und Zeit schwankte Kant jahrelang zwischen Substantialismus und Relationismus, bis er zu seiner eigenen Auffassung kam. Er diskutiert in seiner "Kritik der reinen Vernunft" die Auffassungen von Newton und Leibniz und lehnt beide ab. Raum und Zeit sind weder eigenständige Dinge (Newton), noch sind sie Eigenschaften der Dinge (Leibniz). Raum und Zeit sind Ordnungssysteme, die unserem Verstand angeboren sind.

Die in der Tradition von Kant stehende Philosophie hat Einsteins relative Zeit seit jeher zurückgewiesen, denn als Verstandeskategorie kann die Zeit nicht relativ sein.

Kant selbst bezeichnete seine Auffassung, wonach wir nicht die Dinge an sich erkennen, sondern sie nur so erkennen, wie sie uns erscheinen, als transzendentalen Idealismus. Das heißt aber keineswegs, dass er die Existenz einer objektiven Realität bestritten hat.

Kants umfassend angelegtes philosophisches Gesamtwerk ist Grundlage oder Hintergrund fast aller philosophischen Entwürfe des 19. Jahrhunderts.


Kritik:

Schon Kants Zeitgenossen haben darüber geklagt, dass seine komplizierten Texte nur schwer lesbar sind. Kants Grundüberlegungen über Raum und Zeit sind jedoch relativ einfach und verständlich. Weniger leicht zu verstehen sind die Ausführungen darüber, wie er zu diesen Grundaussagen kommt. (Kritik der reinen Vernunft/Transzendentale Elementarlehre/Erster Teil).

Nach Kant können wir nur die Erscheinungen der Außenwelt, nicht aber die Dinge an sich erkennen. Dies machte ihn für die überwiegend positivistisch und materialistisch geprägte Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts  uninteressant. Obwohl Kants Idealismus zugleich ein Realismus ist, indem er die Existenz einer Außenwelt voraussetzt, konnte seine Philosophie nicht erklären, warum wir uns mit den angeborenen Vorstellungen von Raum und Zeit in der realen Welt zurechtfinden. Raum und Zeit ohne erkennbaren Bezug zur physikalischen Außenwelt - damit konnte die Physik nicht viel anfangen.  Erst die in der Mitte des 20. Jahrhunderts entstandene evolutionäre Erkenntnistheorie lieferte eine Erklärung für den Zusammenhang zwischen Kants Verstandeskategorien und der realen Außenwelt. 


Nachtrag vom 26. Juli 2023
Erst nach der Veröffentlichung meiner Theorie der Zeit (in diesem Blog sowie als Buch) bin ich zufällig auf folgenden Satz in Kants "Kritik der reinen Vernunft" gestoßen:
"Wollte man der Zeit selbst eine Folge nacheinander beilegen, so müsste man noch eine andere Zeit denken, in welcher diese Folge möglich wäre."
Damit bekräftigt Kant, dass wir uns eine Aufeinanderfolge zwangsläufig nur innerhalb der Zeit als einer uns angeborenen Denk- und Erkenntnisform vorstellen können.  

Dienstag, 10. März 2015

Leibniz: Raum und Zeit sind Relationen

(zuletzt geändert am 16. Januar 2024)

"Der Raum ist die Ordnung gleichzeitig existierender Dinge, wie die Zeit die Ordnung des Aufeinanderfolgenden ist."


Diese Auffassung setzte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 - 1716) dem Substantialismus seines Zeitgenossen Newton entgegen. Leibniz bestreitet den Substantialismus und entwickelt seine Vorstellungen in der Auseinandersetzung mit Newtons Theorie. 

Raum und Zeit existieren nicht eigenständig, sondern sind lediglich Relationen zwischen den Dingen. Der Raum besteht in der Ordnung des Nebeneinander der Dinge, die Zeit in der Ordnung des Nacheinander. Die Größenverhältnisse, Abstände und Positionen der Dinge bilden den Raum. Die Abstände im Nacheinander zwischen Ereignissen bilden die Zeit.

Raum und Zeit sind nach Leibniz Attribute der materiellen Dinge. Da es keinen absoluten Raum gibt, ist Bewegung relativ. Damit war der jahrelange Streit mit Newton programmiert. Das ging so weit, dass sie sich gegenseitig der Gotteslästerung bezichtigten.  Newton machte seinen ganzen Einfluss als Vorsitzender der "Royal Society of Sciences" geltend und ruhte nicht eher, bis Leibniz, ebenfalls Mitglied der Royal Society, als Plagiator gebrandmarkt war. Zu Details und Hintergründen des Philosophenstreits siehe Ed Dellian: "Samuel Clarke: Der Briefwechsel mit G.W. Leibniz von 1715/1716" (auf der Internetseite www.neutonus-reformatus.de).

Aufgrund der zunehmenden Zweifel an Newtons absoluter Zeit und absolutem Raum  gewann der  Relationismus in der theoretischen Physik gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Oberhand. Auf dieser Grundlage sind neue Theorien über die Relativität von Raum, Zeit und Bewegung entstanden.    


Kritik des Relationismus

Die zufällige Anordnung der Dinge im Raum ist keine Ordnung, sondern Chaos, jedenfalls was alltägliche und kosmische Größenordnungen betrifft. Entsprechendes gilt für die Aufeinanderfolge der Ereignisse. Die Ordnung wird erst durch den Verstand geschaffen. Raum und Zeit sind Ordnungssysteme im Verstand, wie Immanuel Kant hundert Jahre nach Newton und Leibniz erkannte. Dagegen sieht Leibniz die Ordnung in der Natur, in der Außenwelt.

Newton machte die im Verstand von Natur aus gegebene Vorstellung von absolutem Raum und absoluter Zeit zu Dingen in der Außenwelt. Auch Leibniz sah die Ordnung als in der Außenwelt gegeben.  

Das Argument gegen den Relationismus, wonach Raum und Zeit bereits vorausgesetzt werden, wenn man den Raum als die räumliche Ordnung und die Zeit als die zeitliche Ordnung der Dinge bezeichnet, überzeugt mich nicht. Denn Leibniz erklärt Raum und Zeit nicht aus der räumlichen und zeitlichen Ordnung der Dinge, sondern aus der Ordnung des Nebeneinander und des Nacheinander der Dinge.   

Der Relationismus definiert Raum und Zeit als abhängig von der Materie. Dies ist mit ein Grund für relativistische Irrwege und die Ratlosigkeit der Physik heute in Bezug auf Raum und Zeit. 

Montag, 9. März 2015

Newton: Raum und Zeit sind absolut

(zuletzt geändert im Januar 2024)

Nach Newton sind Raum und Zeit absolut in dem Sinne, dass sie für sich Bestehendes, eigenständig Seiendes sind. So jedenfalls wird er allgemein interpretiert. *) Insbesondere von Physikern wird das Absolute im vollkommen gleichmäßigen Verlauf der Zeit gesehen, im Unterschied zur ungleichmäßig verlaufenden relativen Zeit. 

"Die absolute, wahre und mathematische Zeit fließt an sich und ihrer Natur nach gleichmäßig, ohne Beziehung auf äußere Gegenstände. Mit einem anderen Wort wird sie auch als Dauer bezeichnet."

Mit diesen Worten beschreibt Isaac Newton (1642 - 1727) die absolute Zeit. Newton war der Meinung, dass die absolute Zeit etwas Selbstverständliches sei, das man eigentlich nicht näher erklären müsse. ("Zeit, Raum, Ort und Bewegung als allen bekannt, erkläre ich nicht...") Der Grund dafür ist einfach. Newton beschreibt nämlich nichts anderes die uns allen angeborene Vorstellung von Zeit: Es gibt nur eine Zeit, und sie verläuft gleichmäßig.

Wenn Newton die Zeit auch als Dauer bezeichnet, so scheint dies nur vordergründig den Relationismus seines Zeitgenossen und Kontrahenten Leibniz zu stützen. Tatsächlich ist es aber ein grundlegender Unterschied, ob man die Zeit als ein existierendes Ding (Newton) oder als Relation zwischen Dingen bzw. Ereignissen (Leibniz) auffasst.

Newton verwendet auch bereits den Begriff der relativen Zeit. Als relativ bezeichnet er die mit Hilfe von Bewegung gemessene Zeit - im lateinischen Original "Durationis per motum mensura", in der Übersetzung von Motte 1729 "measure of Duration by the means of motion". Wenn Newton die relative Zeit als das Maß der Dauer bezeichnet. so mag dies auf den ersten Blick als unverständlich erscheinen, denn "Dauer" ist bei Newton nur ein anderes Wort für die absolute Zeit. Wenn hinter Newtons Worten ein nachvollziehbarer Gedanke steht, dann besagt dieser, dass wir die Zeit nur mit Uhren messen können. Uhren gehen aber nie absolut gleichmäßig, gleich ob wir die Schwingungen eines Pendels oder die Erdrotation als Uhr verwenden. In diesem Sinne ist das Messergebnis stets relativ.  

Newtons Hoffnung richtete sich darauf, dass der gleichmäßige Gang der Uhren durch den Fortschritt von Wissenschaft und Technik stets verbessert werde. Diese Hoffnung hat sich durch die modernen Atomuhren, die in mehreren Millionen Jahren theoretisch nur um eine Sekunde vom gleichmäßigen Gang abweichen, weitgehend erfüllt.

Die absolute Zeit hat nach Newton drei Merkmale:

-  sie ist universell, das heißt es gibt nur eine Zeit, die überall die selbe ist

-  sie verläuft gleichmäßig

-  sie existiert unabhängig von anderen Dingen und ist daher "Substanz" im Sinne eines eigenständig existierenden Dings. Diese Auffassung wird als "Substantialismus" bezeichnet, im Gegensatz zum "Relationismus" von Leibniz.


Die universelle Zeit:
Anders als ein Raumpunkt, der einen bestimmten Ort bezeichnet, unterliegt ein Zeitpunkt keiner räumlichen Beschränkung. Jeder Augenblick, den ich mit "Jetzt" bezeichne, ist im gesamten Universum derselbe. In jedem Augenblick geschehen überall gleichzeitig unzählige Ereignisse. Wenn jeder Zeitpunkt überall der selbe ist, so gibt es nur eine Zeit.

Die gleichmäßig verlaufende Zeit:
Nur mit der gleichmäßig verlaufenden Zeit ist ein festes Zeitmaß gegeben. Gleichmäßig verlaufende Zeit bedeutet, dass eine Sekunde stets die gleiche Dauer hat. Deshalb kann die Zeit nur mit gleichmäßig gehenden Uhren gemessen werden. Damit ist der gleichmäßige Verlauf der Zeit ein logisch-mathematisches Prinzip, auf dem die Zeitmessung und die Idee der Uhr beruht. Nicht ohne Grund bezeichnet Newton die absolute Zeit auch als mathematische Zeit.

Die relativistische Physik argumentiert, es könne keine absolute Zeit geben, weil es für den gleichmäßigen Verlauf kein Bezugssystem in der Natur gibt. Sie verkennt dabei, dass die Zeit als abstraktes Ordnungssystem keines materiellen Bezugssystems bedarf. Ebenso wenig bedarf z.B. die Mathematik eines materiellen Bezugssystems (wie der Positivismus des 19. Jahrhunderts glaubte), da sie auf reiner Logik beruht.


Die Zeit als Substanz:
Hier liegt der hauptsächliche Kritikpunkt an Newtons Zeitbegriff. Der Substantialismus kann nicht erklären, was die Zeit ist, die unabhängig von anderen Dingen existiert. Newton selbst erklärte Raum und Zeit an anderer Stelle als Organe Gottes, was Ausdruck seiner religiösen Überzeugung war. Heute vermutet man dahinter auch die Absicht, dem Verdacht der Gotteslästerung entgegenzuwirken. Denn absolut konnten nur Gott und seine Organe sein, nicht aber die von ihm geschaffenen Dinge.

Die Dinge existieren in Raum und Zeit. Gäbe es die Dinge nicht, so gäbe es immer noch Raum und Zeit. Dies ist der Kern von Newtons Auffassung von Raum und Zeit.

Die theoretische Physik hat Newtons Vorstellungen über Raum und Zeit bis heute nicht überwunden. Sie kann nicht erklären, was Raum und Zeit sind, hält sie aber für physikalische Dinge, die in rätselhaften Wechselwirkungen mit der Materie stehen (Krümmung der Raumzeit durch Schwerkraft).    

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*) "Substanz" bezeichnet in der Metaphysik ein selbständig Seiendes. Weil Newton die absolute Zeit als unabhängig von anderen Dingen beschreibt, wurde seine Auffassung durch die Nachwelt als Substantialismus bezeichnet. Welche Art von selbständig Seiendem Raum und Zeit sind, dazu hat Newton nur wenig Erhellendes gesagt. Ed Dellian, der Herausgeber einer deutschsprachigen Ausgabe der "Principia mathematica" (Hamburg 1988) vertritt die Auffassung, dass eine Neuinterpretation von Newton angebracht ist. Seine tiefschürfende Analyse von Newtons weithin unverstandenen Ausführungen kommt zu dem Ergebnis, dass Newton den absoluten Raum und die absolute Zeit als unveränderliche Maßstäbe versteht (Ed Dellian: Isaac Newton über absolute und relative Zeit - ein aktueller Beitrag zur Lösung des Zeiträtsels - auf www.neutonus-reformatus.de).