Donnerstag, 14. November 2013

Zur evolutionären Erkenntnistheorie

Immanuel Kants idealistische Philosophie konnte nicht erklären, in welchem Bezug unsere angeborenen Denkkategorien (wie Zeit und Raum) zur Wirklichkeit stehen und warum wir uns mit diesen Denkkategorien in der realen Außenwelt zurechtfinden. Diese Erklärung liefert erst die auf Konrad Lorenz (1903 - 1989) und andere Autoren zurückgehende evolutionäre Erkenntnistheorie. Danach hat sich unser Verstand im Lauf der Evolution  durch Anpassung an die Umwelt entwickelt. Lorenz schreibt in seiner Arbeit "Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie" (1941), dass unsere angeborenen Anschauungsformen und Denkkategorien aus genau den selben Gründen auf die Außenwelt passen, aus denen der Huf des Pferdes auf den Steppenboden und die Flosse des Fisches ins Wasser passt.

Dadurch wird erklärbar, warum Zeit und Raum uns als Verstandeskategorien angeboren sind. Das Nacheinander der Dinge in der realen Welt  ist die Grundlage für die Entstehung der Denkkategorie Zeit. Die Zeit als angeborene Verstandeskategorie hat ihren entwicklungsgeschichtlichen Ursprung in der Außenwelt, weil dort ein ständiges Nacheinander der Dinge herrscht. Damit sind auf der einen Seite die absolute Zeit als Verstandeskategorie (Kant) und auf der anderen Seite Zeit im Sinne von Zeitrelationen (Leibniz)  keine unvereinbaren Gegensätze, sondern die beiden Seiten einer Medaille. Der Unterschied zwischen den beiden Seiten folgt aus der Unterscheidung zwischen Außenwelt und Innenwelt.

Es ist notwendig, begrifflich zu unterscheiden zwischen den realen Geschehnissen in der Außenwelt und der Zeit als Verstandeskategorie, die ein einfaches  Ordnungssystem ist. Dieses angeborene Ordnungssystem versetzt uns in die Lage, die realen Ereignisse zu unterscheiden nach früher, später und gleichzeitig sowie nach unterschiedlicher Dauer der einzelnen Vorgänge.

Die Frage ist berechtigt, ob und inwieweit unsere angeborenen Vorstellungen mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Zwar ist die Flosse des Fisches perfekt an das Wasser angepasst. Aber die Flosse ist kein direktes Abbild des Wassers. Die Grundüberlegung der evolutionären Erkenntnistheorie allein beweist noch nicht, dass die absolute Zeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Sondern sie kann erklären, warum unser Denken an die Formen von Raum und Zeit gebunden ist, und warum uns die Vorstellung der absoluten Zeit angeboren ist. Die Frage, ob unsere angeborene Vorstellung von Zeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt, wird durch die oben beschriebene Grundüberlegung von Konrad Lorenz nicht entschieden. Weil die relativistische Physik sich hier für kompetent hält und naiv  glaubt, die Relativität der Zeit sei mathematisch und experimentell bewiesen, wurden die Überlegungen zu Raum und Zeit auf der Grundlage der evolutionären Erkenntnistheorie bisher nicht weitergeführt.   

Mittwoch, 13. November 2013

Die absolute Zeit

Eine philosophische Polemik gegen die relative Zeit

Die absolute Zeit ist durch zwei Merkmale gekennzeichnet: die Universalität und den gleichmäßigen Verlauf.

Universelle Zeit
Im Gegensatz zu einem Raumpunkt, der einen bestimmten Ort bezeichnet, unterliegt ein Zeitpunkt seiner Natur nach keiner räumlichen Beschränkung. Jeder Augenblick, den ich mit "Jetzt" bezeichne, ist im gesamten Universum der selbe. Dessen sind wir uns von Natur aus gewiss. Weil die Zeit universell ist, sind Zeitpunkte stets auch Gleichzeitigkeitspunkte. In einem zweidimensionalen Raum-Zeit-Diagramm durchschneidet die Gleichzeitigkeitsgerade den gesamten Raum.

In jedem mit "Jetzt" bezeichneten Augenblick geschehen überall in der Welt gleichzeitig unzählige Ereignisse. Die Gleichzeitigkeit dieser Ereignisse ist eine Tatsache, die unabhängig davon gegeben ist, ob ich diese Ereignisse beobachten oder ihre Gleichzeitigkeit messen kann. Gleichzeitigkeit ist eine Tatsache, die nicht von den relativen Beobachtungen unterschiedlicher Beobachter abhängt. Wenn jeder Zeitpunkt überall der selbe ist, so bedeutet dies, dass überall dieselbe Zeit gegeben ist.

Die universelle Zeit folgt daraus, dass die Gleichzeitigkeit von zwei Ereignissen eine objektive Tatsache ist, unabhängig von den Sinneseindrücken unterschiedlicher Beobachter, und unabhängig davon ob wir in der Lage sind, die Gleichzeitigkeit im Einzelfall zu beobachten oder zu messen. 

Die universelle Zeit beruht ausserdem auf der Tatsache, dass wir in einer Welt leben. Die Welt als Ganzes befindet sich in jedem Augenblick in einem bestimmten Zustand, der sich von Augenblick zu Augenblick ändert. Jeder Augenblick, in dem sich die Welt als Ganzes in einem bestimmten Zustand befindet, ist in der ganzen Welt derselbe.

Nach der Relativitätstheorie verläuft die Zeit in unterschiedlich bewegten Systemen unterschiedlich. Wäre dies der Fall, so würde die Welt als Ganzes nicht gleichzeitig existieren. Da alles in ständiger Bewegung ist, wären Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht zu unterscheiden.

Die Relativitätstheorie bestreitet die Gleichzeitigkeit als objektive Tatsache. Sie definiert als gleichzeitig, was ein Beobachter gleichzeitig wahrnimmt. Da die Wahrnehmung unterschiedlicher Beobachter von der jeweiligen Lichtlaufzeit abhängt, wird Gleichzeitigkeit durch diese Definition relativ.

Aufgrund unserer natürlichen menschlichen Begrenztheit können wir die Gleichzeitigkeit von zwei Ereignissen außerhalb unseres Sichtfeldes nicht unmittelbar beobachten, sondern nur mit technischen Hilfsmitteln feststellen, welche ebenfalls an Grenzen gelangen mögen. Es gibt keinen Grund dafür, warum die Erfahrung von absoluter Gleichzeitigkeit, die wir innerhalb unseres unmittelbaren Sichtfeldes machen, nicht über dieses Sichtfeld hinaus gelten sollte. Wir wissen außerdem, dass wir bei großen Entfernungen zwischen Beobachter und Objekt die Lichtlaufzeit berücksichtigen müssen, um zu exakten Zeitmessungen zu kommen. Daher ist die Gleichzeitigkeit von zwei Ereignissen eine reale Tatsache, an der nichts relativ ist. Relativ sind lediglich die Sinneseindrücke unterschiedlicher Beobachter infolge unterschiedlicher Lichtlaufzeiten.
    

Gleichmäßig verlaufende Zeit 
Die gedankliche Vorstellung eines gleichmäßigen Zeitverlaufs ist uns angeboren. Doch unser Zeitempfinden ist sehr ungenau. Es reicht hin, um Sekunden von Minuten oder um Minuten von Stunden zu unterscheiden. Unser Zeitgefühl reicht - evolutionstheoretisch betrachtet - unter natürlichen Lebensbedingungen zum Überleben. Aber zur genauen Zeitmessung sind wir auf Uhren als Hilfsmittel angewiesen. Um Zeitrelationen exakt zu vergleichen, brauchen wir Uhren  als Messwerkzeuge, so wie wir zum exakten Vergleich von Raumrelationen einen Meterstab brauchen. Die Uhr taugt aber zum Vergleich von Zeitrelationen nur, wenn sie möglichst gleichmäßig geht. Im Idealfall sollte sie die absolute Zeit abbilden. Nur in der Vorstellung von gleichmäßig verlaufender Zeit ist ein festes Zeitmaß gegeben. Die absolute Zeit ist also keine metaphysische Idee, wie Ernst Mach kritisierte, sondern eine unerlässliche Abstraktionsleistung des Verstandes, um Zeitrelationen vergleichen und messen zu können.

Die gleichmäßig verlaufende Zeit folgt daraus, dass Zeitrelationen nur verglichen und gemessen werden können, wenn die als Zeitmaß gewählte Zeitspanne (zum Beispiel eine Sekunde) stets die selbe Dauer hat. Die gleichmäßig verlaufende Zeit ist ein logisch-mathematisches Prinzip, auf dem das Prinzip der Uhr und der Zeitmessung beruht.

Nach der Relativitätstheorie gibt es kein einheitliches Zeitmaß, weil die Zeit in unterschiedlich bewegten Systemen unterschiedlich verlaufen soll.

Unter der Herrschaft des Zeitgeistes um 1900  war offenbar kein Platz für die Einsicht, dass die gleichmäßig verlaufende absolute Zeit ein logisch-mathematisches Prinzip ist, auf dem die Zeitmessung beruht. Ebenso wurde infolge des gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Naturwissenschaft herrschenden Empirismus, insbesondere auch unter dem Einfluss des Sensualismus von Ernst Mach ignoriert, dass die Gleichzeitigkeit von zwei Ereignissen eine objektive und reale Tatsache ist, die unabhängig von jeder Beobachtung und Messung gegeben ist, woraus zwingend die absolute Zeit als universelle Zeit folgt.

Nachtrag vom Dezember 2022
Der vorstehende Aufsatz ist insoweit überholt, als ich im Jahr der Veröffentlichung (2013) noch von einem Verlauf oder Fluss der Zeit ausgegangen bin.  Doch inzwischen weiß ich: Nicht die Zeit verläuft, sondern die Welt verändert sich. Die Geschwindigkeit der Veränderungen wird am Maßstab der Zeit gemessen.